Die beiden Frauen mit ihren Walking-Stöcken schauen jetzt doch etwas misstrauisch. Viermal bin ich nun an ihnen vorbeigefahren, beim ersten Mal freundlich grüßend, beim zweiten Mal auch, beim dritten Mal schulterzuckend und beim vierten Mal, ja, da habe ich einfach so getan, als läge die Lösung meines Problems auf der anderen Seite des Feldwegs.

Ich suche ein Denkmal, einen Bagger, einen gelben, so groß, dass er eigentlich nicht zu verfehlen ist. Der soll hier irgendwo stehen, im Grenzgebiet zwischen der katholischen Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Norden der Insel. Der Bagger erinnert an mutige Menschen, die Borderbusters. Sie reparierten mit dem Gerät einst die Zerstörungen in den Straßen, die die britische Armee anrichtete, um den Grenzverkehr zu stören. Das ist nur eine Geschichte der „Troubles“, wie der Nordirlandkonflikt beschönigend genannt wird. Mehr als 3.000 Menschen starben bis zum Karfreitagsabkommen 1998 – fast jeder in Irland kennt jemanden, der während des Konflikts getötet oder verletzt wurde.

Im Sommer 2017 wird viel über die Außengrenzen der EU berichtet. Meist geht es dann um die Balkanroute, um das Mittelmeer und die Methoden, mit denen Europa zur Festung wird – und wie Vertriebene trotzdem dort hingelangen wollen. Kaum berichtet wird über die EU-Außengrenze, die mit dem Brexit mitten auf der irischen Insel entstehen wird. Dort, wo längst ein gemeinsamer Wirtschaftsraum entstanden ist und Zigtausende jeden Tag die grüne Grenze passieren. Mich interessiert, wie die Menschen im Grenzgebiet auf die drohende neue, alte Trennlinie blicken. Auch die Jury der Sir-Hugh-Carleton-Greene-Stiftung findet das spannend und schickt mich mit dem Internationalen Medien-Stipendium 2017 nach Irland.

Dort bin also im Sommer 2017 auf der Suche nach dem Bagger und merke, dass sich ein Teil von mir freut, dass dieses Mahnmal des Bürgerkrieges nicht so leicht zu finden ist. Vielleicht ist er ja von Schlingpflanzen überwuchert, verschwunden, vergessen und mit ihm die unbeglichenen Rechnungen, die jeder Krieg hinterlässt. Als ich das noch denke, taucht er doch auf, rechts am Feldwegesrand, leuchtet gelb in der irischen Sonne, hebt sich ab vom satten Grün der Wiesen.

Das Internationale Medien-Stipendium 2017 ermöglicht mir eine Recherchetiefe, die selten ist im Journalismus – nicht nur durch den Luxus, einen Bagger im Niemandsland suchen zu können. Ich fahre die 500 Kilometer lange Grenze buchstäblich ab, frage dort, wo sie nicht gleicht sichtbar ist, werde zum Kaffee eingeladen, tauche ein in die besondere Geschichte dieser Region. Mit dem Farmer Damian McGenity stehe ich auf einer Weide, über die noch vor 30 Jahren die britische Armee mit ihren Hubschraubern knatterte. Angst, dass der Krieg zurückkommt, die hat er eigentlich nicht. Aber die EU-Subventionen werden ihm fehlen. Und er fürchtet, dass nach dem Brexit die nächste Auswanderungswelle Irland schwächen wird, weil die Wirtschaft unter dem Brexit leiden könnte. Gleann Doherty berichtet mir in Derry, das die Protestanten Londonderry nennen, wie sein Vater dort am Bloody Sunday erschossen wurde. „Ich habe die IRA unterstützt – bis es eine Alternative gab“, sagt er heute. Zwei von Dutzenden Gesprächen einer beeindruckenden Reise.

 

Was nach dem Brexit aus der Grenze auf der irischen Insel wird, das weiß bis heute niemand. Dank des Stipendiums der Sir-Greene-Stiftung konnte ich zumindest die Ängste und Hoffnungen der Menschen etwas besser verstehen, die mit den Folgen leben werden müssen.

Gerd Schild lebt als freier Journalist in Hannover. Seine Texte sind u.a. erschienen in: Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, Neue Zürcher Zeitung, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 11Freunde, kicker, Nido. www.gerdschild.de