„Mr. President, one question …“, rufe ich Barack Obama über die Köpfe seiner Secret-Service-Beschützer zu. Ich strecke ihm das ARD-Mikrofon entgegen. Die Kamera läuft. Noch nie hat Barack Obama einem deutschen Fernsehsender ein Interview gegeben. Heute ist es so weit, hoffe ich. Der Präsident hält an. Schaut mir in die Augen. Strahlt sein Obama-Grinsen. Winkt mir zu. Und geht weiter. Das war’s. Dabei hatte ich in meinem Kopf unzählige Fragen vorbereitet. Aber an diesem Nachmittag in Virginia spaziert mein amerikanischer Traum, ein Interview mit dem Präsidenten, lässig und entspannt an mir vorbei. Und ich kann nichts dagegen tun. Zu gut ist er abgeschirmt, als dass ich ihn hätte festhalten und fragen können.

Näher komme ich dem Präsidenten während der zwei Monate als Stipendiatin im ARD-Studio Washington nie. Deutsche Journalisten haben keine Bedeutung für amerikanische Präsidenten, muss ich lernen. In Deutschland gibt es für sie keine Wählerstimmen zu holen. Und so beobachte ich Barack und Michelle Obama und ihre Herausforderer Ann und Mitt Romney vor allem durch die Augen amerikanischer Fernsehsender. Im ARD-Studio laufen die Bilder und Interviews ein, die CNN, ABC und all die anderen Mega-Sender machen. Aus ihren Ausschnitten werden dann Filme für die deutschen ARD-Zuschauer geschnitten. Ich fertige fast 20 Beiträge für Tagesschau, Tagesthemen, Weltbilder, Wochenspiegel, ARD-Wahl-Sondersendungen, das Morgen-, Mittags- und Nachtmagazin. Dafür interviewe ich amerikanische Journalisten, Lobbyisten und Wissenschaftler. Arbeite mich in die Biografien der Obamas und Romneys ein und analysiere die Eigenheiten der 50 Staaten von Amerika.

Wahlkampf in den USA ist voller Emotionen und die Wahlnacht ihr Höhepunkt. In der allesentscheidenden Nacht begleite ich für die Tagesthemen einige Unterstützer von Obama. Viele von ihnen haben mindestens ein Jahr in die Wiederwahl investiert. Neben ihrem Beruf. Ehrenamtlich. „Wir oder die“ – in Amerika ist die Frage, welche Partei du wählst, eine emotionale, tiefgreifende Lebensentscheidung. Kurz vor Mitternacht ist klar, Obama bekommt vier weitere Jahre. Tränen der Erleichterung und Freude laufen über die erschöpften Gesichter. Wir sind in einer Kneipe in der Nähe des Weißen Hauses. Schlagartig füllen sich die Straßen. Tausende rennen an uns vorbei. Schwenken Fahnen. Brüllen: „We did it again“. In Interviews vor dem Weißen Haus stockt mir immer wieder die Stimme – überwältigt von der tiefen Freude um mich herum. Erst am nächsten Tag wird mir klar, vier weitere Jahre geben auch mir eine Nachspielzeit, um meinen amerikanischen Traum doch noch wahr zu machen.

Sarah Tacke arbeitet seit 2010 in Hannover als Moderatorin des NDR und Inlandskorrespondentin der ARD. Zuvor war sie Volontärin beim NDR. Sarah Tacke studierte Jura und promovierte zum Medienpersönlichkeitsrecht. Außerdem ist sie Co-Autorin des Hamburger Kommentars zum Gesamten Medienrecht.